„Wir wachsen mit Schlesien“
Mit Alfred Theisen, Inhaber des Senfkorn Verlages und von SenfkornReisen, sprach Doris Tschechne
Im vergangenen Jahr hatte Ihr Unternehmen in Görlitz nach zwei schlimmen Einbrüchen einen schweren Start. Wie sieht es Anfang 2020 aus?
In der Tat war 2019 für uns aufgrund der schlimmen Folgen der beiden Einbrüche, insbesondere des Datenverlustes, das schwierigste Jahr seit der Unternehmensgründung 1998. Der schon vorher bestellte und nach dem ersten Einbruch vom 18. Dezember 2018 in der Woche vor Weihnachten gelieferte und eingebaute Server war noch nicht extern gesichert, als am 30. Dezember der zweite Einbruch erfolgte und der wichtige Datenträger gestohlen wurde. Auch in diesem Jahr werden wir die Folgen noch spüren. Trotzdem haben wir auch 2019 Schritte nach vorne gemacht, die wir 2020 beherzt weitergehen wollen, trotz CORONA.
Welche konkreten Schritte meinen Sie damit?
Da ist zum einen diese Zeitschrift „Schlesien heute“, die weiter wächst. Dies gilt nicht nur für den Abonnentenstamm, der in Berlin zugelegt hat. Wir sind seit März 2019 bundesweit bei Bahnhofs- und Flughafenbuchhandlungen im Angebot, seit März 2020 im Zentrum von Berlin an über 150 Kiosken erhältlich und das wollen wir weiter ausbauen. Schritt für Schritt wollen wir in weiteren Ballungszentren im Rheinland, Bayern, im Rhein-Main-Gebiet oder auch in Hannover präsent sein. Weiter wollen wir in den kommenden Monaten auch unsere Verkaufs- und Abonnentenzahlen in Polen, insbesondere im polnischen Schlesien steigern.
SenfkornReisen mit seiner Spezialisierung auf Informations- und Begegnungsreisen zu den östlichen Nachbarn wird bekannter und wächst. Wir haben unsere Internet-Auftritte, www.senfkornreisen.de und www.schlesien-heute.de verbessert und kurbeln den Versandhandel an. Auch unsere „Bella Polonia“-Initiative, www.bellapolonia.eu, wollen wir verstärken.
Obwohl die Erlebnisgeneration der vertriebenen Schlesier 75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges allmählich abtritt, sind Sie mit Schlesien weiter auf Wachstumskurs?
In der Tat wachsen wir mit Schlesien, das vor 1989 totgeschwiegen werden sollte und nach einem unglaublichen und immer noch anhaltenden Wirtschaftswunder wieder zu einer der zivilisatorisch, wirtschaftlich und touristisch attraktivsten Regionen Europas geworden ist. Heute kann man sich gar nicht mehr vorstellen, wie die Tourismusmagneten Görlitz oder Breslau noch 1989 ausgesehen haben. Schlesien mit seinen faszinierenden Landschaften war und ist eine Hochkultur, was zum Beispiel das neue Standardwerk von Roswitha Schieb „Schlesien-Geschichte, Landschaft, Kultur“ eindrucksvoll dokumentiert.
Wir haben dieses so lange anhaltende robuste Wirtschaftswachstum und die damit einhergehende tiefgreifende deutsch-polnische Verständigung in „Schlesien heute“ seit 1998 publizistisch begleitet.
Neben den Nachkommen vertriebener und ausgesiedelter Schlesier und unzähligen Investoren sind es immer mehr neue Liebhaber Schlesiens aus allen Regionen Deutschlands, die das Land an der Oder besuchen. Als Breslau zum Beispiel 2016 Kulturhauptstadt Europas war, kam es zu einem nicht vorhergesehenen Ansturm von Hunderttausenden Besuchern aus Deutschland.
Sie haben auch die Unterzeile des Titels von „Schlesien heute“ geändert. Statt „Unabhängiges Magazin für Nieder- und Oberschlesien“ lesen wir jetzt „Mit Blick auf die östlichen Nachbarn“?
Damit haben wir einerseits dem Wunsch vieler Leser Rechnung getragen, den Informationsgehalt der Zeitschrift entsprechend zu bereichern. Auf der anderen Seite soll Schlesien auch Brücke zu den östlichen Nachbarn sein. Wer Schlesien heute verstehen will, muss nicht nur die Geschichte und Gegenwart der deutschen Schlesier kennen, sondern aller Völker, die das Schicksal Schlesiens in den vergangenen Jahrhunderten geprägt haben. Breslau, bis 1945 leuchtende Metropole des damaligen Ostdeutschlands ist nach 1945 durch Krieg und Vertreibungen zu einer Deutsche, Polen und Ukrainer stark verbindenden, zutiefst europäischen Stadt geworden. Wer die Einigung Europas auch nach Osten hin vollenden will – und wer will das nicht? – der muss die faszinierende Geschichte und Kultur unserer Nachbarvölker, insbesondere Polens, kennenlernen.
Witebsk, Grodno, Lublin, Kaschau oder Czernowitz zum Beispiel sind mythische Orte unseres Kontinents, die in Deutschland nahezu unbekannt sind, aber uns für die Seele Europas unglaublich viel zu sagen haben. Es macht Freude, in „Schlesien heute“ immer wieder solche Perlen des Ostens aus der Grauzone zu holen und mit SenfkornReisen erbauende Begegnungen zum Beispiel auch in Belgrad oder in der Republik Moldau zu organisieren.
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Spiegeln sich diese Osterfahrungen auch in Ihrem Verlagsprogramm wider?
In Zukunft noch mehr. Wir wollen damit vor allem auch den Bergstadtverlag beleben. Als nächstes wird ein Lyrik-Band erscheinen, dann weitere Publikationen, die nicht nur schlesische Themen behandeln. Lassen Sie sich überraschen.
Aber erst einmal muss Ihr Betrieb die Corona-Pandemie überstehen?
Da haben Sie recht. Die Herausforderung ist noch größer als nach den verheerenden Einbrüchen Ende 2018.
Jetzt ist es Mitte März und ein Ende der Pandemie ist noch nicht in Sicht. Auch unsere Schlesische Schatztruhe haben wir schließen müssen. Nur der Versand geht weiter. Unsere Europa-Akademie auf Schloss Groß Breesen musste auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden. Doch wir verharren nicht beim Blick in den Abgrund, sondern schauen zuversichtlich auf das zweite Halbjahr. Es ist gut, dass die Politik jetzt mit aller Macht die Verbreitung des Virus eindämmt, aber das geht vorüber und dann werden wir mit Schwung und neuen Ideen unsere schöne Verlags- und Reisetätigkeit fortsetzen.
Woher nehmen Sie diese Zuversicht?
Mir hilft das Gebet zur Muttergottes als Fürsprecherin bei unserem himmlischen Vater. In meinem Büro befinden sich eine Marienfigur, die ich mir aus Minsk mitgebracht habe, wo die Muttergottes das Stadtwappen bildet und ein schönes Bild der Muttergottes von Kasan an der Wolga, die ich in diesem Leben noch besuchen möchte.
Unserem Familienbetrieb, vor allem den Damen im SenfkornReisen-Büro, hilft in diesen Tagen eine wirklich große Welle der Anteilnahme und des guten Zuspruchs aus den Reihen unserer Gäste. Das geht uns allen sehr zu Herzen und nährt die Zuversicht für die Zeit nach Corona, wie sie die Menschen in China jetzt schon erleben. Damit hatten wir nicht rechnen können und es ist in diesen düsteren Stunden eine wunderbare Erfahrung, die wir nicht vergessen werden. Auch im Namen von Simone Effenberger, Katja Wasilewska und Izabella Liwacz möchte ich mich bei allen für diese großartige moralische Unterstützung bedanken.
Gekürztes Interview aus "Schlesien heute", April 2020
Alfred Theisen mit Reiseführerin Larissa Korogodowa in Witebsk im
Norden von Belarus vor einer Statue von Marc Chagall im Garten des
Geburtshauses des großen Malers. Foto: Sh